Gestörter Religionsbetrieb

Predigt zu 2. Chronik 5, 2-14 zum Sonntag Kantate, 10. Mai 2020


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Von Kathrin Oxen

Da versammelte Salomo alle Ältesten Israels, alle Häupter der Stämme und die Fürsten der Sippen Israels in Jerusalem, damit sie die Lade des Bundes des HERRN hinaufbrächten aus der Stadt Davids, das ist Zion. Und es kamen alle Ältesten Israels, und die Leviten hoben die Lade auf und brachten sie hinauf samt der Stiftshütte und allem heiligen Gerät, das in der Stiftshütte war; es brachten sie hinauf die Priester und Leviten. So brachten die Priester die Lade des Bundes des HERRN an ihre Stätte, in den innersten Raum des Hauses, in das Allerheiligste, unter die Flügel der Cherubim, dass die Cherubim ihre Flügel ausbreiteten über die Stätte der Lade.

Und die Cherubim bedeckten die Lade und ihre Stangen von oben her. Die Stangen aber waren so lang, dass man ihre Enden vor dem Allerheiligsten sah, aber von außen sah man sie nicht. Und sie war dort bis auf diesen Tag. Und es war nichts in der Lade außer den zwei Tafeln, die Mose am Horeb hineingelegt hatte, die Tafeln des Bundes, den der HERR mit Israel geschlossen hatte, als sie aus Ägypten zogen.

Und die Priester gingen heraus aus dem Heiligtum - denn alle Priester, die sich eingefunden hatten, hatten sich geheiligt, ohne dass man auf die Abteilungen geachtet hätte Und alle Leviten, die Sänger waren, nämlich Asaf, Heman und Jedutun und ihre Söhne und Brüder, angetan mit feiner Leinwand, standen östlich vom Altar mit Zimbeln, Psaltern und Harfen und bei ihnen hundertzwanzig Priester, die mit Trompeten bliesen. Und es war, als wäre es einer, der trompetete und sänge, als hörte man eine Stimme loben und danken dem HERRN. Und als sich die Stimme der Trompeten, Zimbeln und Saitenspiele erhob und man den HERRN lobte: "Er ist gütig, und seine Barmherzigkeit währt ewig", da wurde das Haus erfüllt mit einer Wolke, als das Haus des HERRN, sodass die Priester nicht zum Dienst hinzutreten konnten wegen der Wolke; denn die Herrlichkeit des HERRN erfüllte das Haus Gottes.

„Es darf wieder Gottesdienst gefeiert werden. Darüber freuen wir uns. Es geschieht unter Einhaltung der Anstandsregeln und Beachtung der Hygienebestimmungen. Aus diesem Grund ist die Teilnehmerzahl stark begrenzt. Wir müssen Ihre Kontaktdaten notieren, um ggf. Infektionsketten nachverfolgen zu können. Wir bitten Sie, eine Mund-Nase-Bedeckung mitzubringen. Das gemeinschaftliche Singen ist leider nicht gestattet. Ein Ordnungsdienst sorgt für einen geordneten Ablauf.“

Unter diesen oder ähnlichen Bedingungen dürfen an diesem Sonntag wieder Gottesdienste gefeiert werden. Wie andere Bereiche des öffentlichen Lebens, wird auch der Religionsbetrieb in unserem Land langsam wieder hochgefahren. Doch was für ein Gottesdienst wird das sein? Den anderen auf keinen Fall die Hand geben dürfen, von Umarmungen ganz zu schweigen. Hinter einer Maske geht nicht einmal Anlächeln. Wir hören weder, wie sonst, die guten Sänger heraus noch die Dame aus der vorderen Reihe, die immer so falsch singt. Aber sie ist heute sowieso noch nicht gekommen, denn wir alle wissen, dass es ihr gesundheitlich nicht so gut geht.

Es bleibt uns: Die Kirche. Wie es dort riecht. Das Sonnenlicht durch die Fenster. Die Lesungen und Gebete, die Predigt. Die Orgel, vielleicht Gesang zum Zuhören. Normalerweise würden wir heute, am Sonntag Kantate, besonders viel singen. Doch das gemeinsame Singen in geschlossenen Räumen scheint nach allem, was wir wissen, besonders riskant zu sein. Ein bisschen Mitsummen durch die Maske wird wohl erlaubt sein. Heute ist in vielen Kirchen alles sehr gut vorbereitet. Es wird Gottesdienst gefeiert. Und wir werden deutlich merken, was uns fehlt. Denn der Religionsbetrieb ist gestört.

Zur Einweihung des Tempels in Jerusalem ist auch alles perfekt vorbereitet. Ein großer, festlicher Gottesdienst, Religionsbetrieb auf höchstem Niveau. Denn es gibt etwas zu feiern. Nach Jahren der Wanderung durch die Wüste soll jetzt die Bundeslade in das Allerheiligste des Tempels überführt werden. Die Stiftshütte, das alte Zelt für das Allerheiligste hat ausgedient. Auch für Gott sind damit die Jahre der Wanderschaft vorbei. Hier soll er seinen Ort finden. Dafür muss natürlich alles perfekt sein. Anwesend sind die höchsten politischen Repräsentanten, reichlich geistliches Personal, es gibt kostbare liturgische Geräte und Gewänder, vielstimmigen Gesang und Instrumente.

Ein merkwürdiger Gegensatz zu der hölzernen Lade mit ihren sperrigen langen Stangen, die irgendwie nicht recht in den neuen Tempel hineinpassen will. An diesen Stangen hatten sie die Lade mit sich getragen, immer abwechselnd auf ihrem jahrzehntelangen Weg durch die Wüste. Manchmal haben innerlich geflucht dabei und sich im gleichen Moment erschrocken erinnert, dass sie „den Namen des Herrn, deines Gottes nicht missbrauchen“ sollen. Abdrücke auf den Schultern hat sie hinterlassen und Schwielen an den Händen, obwohl die Lade nicht schwer war. So wie die Tafeln darin und was darauf stand, die Zehn Gebote, nicht schwer waren. Eigentlich.

Mit der Lade haben sie ihren sperrigen Gott jahrzehntelang durch die Wüste getragen., immer war ihr Gott bei ihnen. Und jetzt bringen sie die Lade hinein und schließen die Türen und dann feiern sie Gottesdienst im neuen Tempel. Sie nehmen einen geordneten Religionsbetrieb auf. Aber die Priester, sonst perfekt choreographiert, geraten sofort in eine heilige Unordnung. Als hätten sie das Heiligtum sehr schnell verlassen wollen, mit einer Art von schlechtem Gewissen. Weil es sich anfühlt, als hätten sie Gott eingesperrt in diesem Tempel.

Und als dann alles soweit ist, als der Gottesdienst beginnt und sich die Stimmen und Instrumente der Leviten und der Priester erheben zum dem großen Lob Gottes, kommt Gott. Er kommt als Wolke, so, wie sie ihn aus der Wüste kennen. Er lässt sich nicht einsperren und schon gar nicht aussperren. Und unterbricht den Gottesdienst und den Religionsbetrieb. Die Priester können nicht zum Dienst hinzutreten wegen der Wolke. Denn Gott ist schon da. Die Herrlichkeit des Herrn erfüllte das Haus Gottes.

Unser Religionsbetrieb ist gestört. Es ist traurig, keine „richtigen“ Gottesdienste feiern zu können und wir wissen noch nicht, wann es wieder möglich sein wird. Aber diese Störung ist auch eine heilsame Unterbrechung. Es gibt viele Gemeinden, die froh wären, wenn sie die jetzt erlaubte Mindestteilnehmerzahl vor dem Ausbruch der Pandemie regelmäßig erreicht hätten. Und auch dort, wo alles perfekt inszeniert, vorbereitet und gut besucht ist, stellt sich deswegen nicht automatisch ein Gefühl der Gegenwart Gottes ein.

In der Zeit des gestörten Religionsbetriebs ist so viel Neues entstanden, nicht nur mit den vielen verschiedenen Wegen, anders Gottesdienst zu feiern, sondern auch und gerade in dem, was auch Gottesdienst ist: Den Nächsten lieben und ihm Gutes tun.

Zu allen Zeiten, in diesen und auch sonst, ist die Geschichte von der leicht missglückten Temperleinweihung ein Trost. Sie sagt: Gott ist ein sperriger Gott- Gott bewegt sich gerne außerhalb der Liturgie und des Heiligtums. Es scheint ihm lieb zu sein, wenn wir ihn durch die Welt tragen, gerade auf endlos scheinenden Umwegen und durch Wüsten. Gott mag es, dass wir Abdrücke auf den Schultern von ihm bekommen und Schwielen an den Händen. Weil wir tun, was auf den Tafeln steht. Sie sind bei uns bis auf den heutigen Tag.

Amen


Kathrin Oxen
Jeden Sonntag: Gemeinsam unterwegs in besonderen Zeiten - von Kathrin Oxen

Kathrin Oxen, Moderatorin des Reformierten Bundes, gibt Ihnen auf reformiert-info.de jeden Sonntag Materialien für den Gottesdienst für Zuhause, dazu eine aktuelle Predigt.